Kollaborative Lernumgebungen
Angenommene Effekte
Positive Erwartungen
Kollaborative Lernumgebungen sind mit diversen positiven Erwartungen verknüpft, die teilweise empirisch bestätigt werden konnten (siehe z.B. Kirschner, F. et al., 2009a; Krause et al., 2009). So sollen diese etwa zu aktiverem und engagierterem Lernen beitragen sowie die Aufmerksamkeit und Motivation der Lernenden fördern. Informationen würden längere Zeit behalten und metakognitive Kompetenzen gestärkt. Durch den Vergleich verschiedener Sichtweisen und Integration unterschiedlicher Perspektiven beim gemeinsamen Lernen würden Lernende zudem zu elaborierteren, reichhaltigeren Wissensstrukturen gelangen. Insgesamt solle kollaboratives Lernen zu einer tieferen Verarbeitung der Lerninhalte und einem besseren Wissenserwerb beitragen.
Potentielle Probleme
Neben verschiedenen Vorteilen können beim kollaborativen Lernen auch diverse Probleme auftreten (z.B. Kirschner, F. et al., 2009a; Krause et al., 2009). So werden bisweilen Ressourcen verschwendet und Informationen nicht effizient in der Gruppe ausgetauscht. Durch die Interaktion mit anderen Lernpartnern entstehe ein zusätzlicher Koordinationsaufwand, der zu einer zusätzlichen kognitiven Belastung für einzelne Lerner führen könne (Schnotz et al., 1998). Ebenso ist in einzelnen Gruppen eine Verantwortungsdiffusion und soziales Faullenzen (social loafing) beobachtbar (Latané, Williams und Harkins, 1979). Bei letzterem Aspekt sind schlechtere Leistungen auf den Motivationsverlust einzelner Gruppenmitglieder zurückzuführen. Des Weiteren besteht das Problem, dass einige Lerner das gemeinsame Arbeiten mit anderen Lernern vermeiden.
Empirische Befundlage
Uneinheitliche Befundlage und Aufgabenkomplexität
Bezüglich der Gegenüberstellung individueller und kollaborativer Lernumgebungen ist die empirische Befundlage laut Kirschner, Paas und Kirschner (2009a; 2009b) gemischt. Zur Erklärung führen die Autoren die Aufgabenkomplexität als moderierenden Faktor für die Effizienz von Gruppen und Individuen an. Sie argumentieren auf Basis der CLT, dass Gruppenarbeit im Vergleich zur Einzelarbeit umso besser ausfalle, je höher die Aufgabenkomplexität sei (vgl. auch Jonassen et al., 2005). Komplexe Aufgaben würden die Arbeitsgedächtniskapazität einzelner Lernender übersteigen. Im Gegensatz dazu seien diese Aufgaben in der Gruppe noch lösbar, da dort mit Hilfe multipler Arbeitsgedächtnisse ein kollektiver Arbeitsraum mit mehr Verarbeitungskapazität aufgespannt werde. Bei Aufgaben geringer Komplexität sei dieser Vorteil hingegen nur schwach ausgeprägt und würde zudem durch kognitive und soziale "Transaktionskosten" aufgehoben oder sogar überstiegen. Transaktionskosten stellen Kommunikations- und Koordinationsprozesse zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern dar. Die Überlegung, dass die Aufgabenkomplexität eine wichtige Moderatorvariable bei der Gegenüberstellung individueller und kollaborativer Lernumgebungen spielt, wird durch mehrere empirische Befunde belegt (Kirschner, F. et al., 2009a, 2009b).
Kritik
Diskrepanz zwischen Lernphase und Testphase
Ein wichtiger Kritikpunkt bezüglich des Vergleichs individueller und kollaborativer Lernumgebungen betrifft die Diskrepanz zwischen der Lernphase und der späteren Testphase. Während im Rahmen kollaborativer Lernumgebungen Lernende zum gemeinsamen Arbeiten ermuntert werden, erfolgt die anschließende Leistungsüberprüfung und -beurteilung nicht als Gruppe, sondern meist individuell. Diese fehlende Passung (vgl. auch die Diskrepanz zwischen Informationsdarbietung und -abfrage) könnte auch dazu beitragen, dass einige Lerner gemeinsames Arbeiten und Lernen meiden oder diesem zumindest skeptisch gegenüberstehen. Ein zusätzlicher Grund könnte darin bestehen, dass in Klausuren und Tests vornehmlich Behaltensleistungen überprüft werden, die man sich aufgrund der geringen Aufgabenkomplexität mutmaßlich weniger gut in kollaborativen Lernumgebungen aneignen kann (Kirschner, F. et al., 2009a, 2009b).
Pauschale Vergleiche
Hinsichtlich des (pauschalen) Vergleichs individueller und kollaborativer Lernumgebungen können zahlreiche Kritikpunkte aufgeführt werden. Ähnlich wie bei adaptiven Lernumgebungen erscheinen solche Gegenüberstellungen insgesamt wenig ergiebig. Anstelle dieser pauschalen Vergleiche sollte vielmehr untersucht werden, wie kollaborative Lernumgebungen möglichst lernförderlich zu gestalten sind.